aktuelle Themen

  • Dünne flüssige Filme und Membranen

Smektische freitragende Filme können ebenso wie Seifenfilme als geschlossene Blasen generiert werden. Sie stellen dabei ein einzigartiges System dar, das Eigenschaften von Seifenblasen und von Vesikeln verbindet. Wir untersuchen in diesen Systemen unter anderem die Formdynamik der Blasen (Bild unten links). Eng mit diesem Thema ist die Beobachtung von spontanen Ausstülpungen und  regulärer Faltenbildung als Reaktion auf äußere Kräfte verbunden (Bild unten Mitte). Letztere stellen ein Beispiel spontaner selbstorganisierter Muster dar. Diese Experimente werden zum überwiegenden Teil unter Schwerelosigkeitsbedingungen an frei schwebenden Blasen durchgeführt. Mit Hilfe von Hochgeschwindigkeitsaufnahmen untersuchen wir das Reißen flüssiger Filme (Bild unten rechts).

Beispiele: Formdynamik von freischwebenden smektischen Blasen, Dynamik des Reißens

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Bild links: Titelseite der Zeitschrift Soft Matter mit Beispielen freischwebender smektischer Blasen. Bild Mitte: Freischwebende smektische Blase während einer axialen Kompression (im Bild senkrecht) mit Ausstülpungen und Faltenbildung am unteren Ende. Breite der Abbildungen ca. 2 mm. Bild rechts: reißende smektische Blase mit Filamentbildung der reißenden Front, Breite der Abbildung etwa 3 mm.

 

  • Strukturbildung und Selbstorganisation in nichtlinearen Systemen

Wir untersuchen selbstorganisierte Strukturen in Systemen der weichen Materie. Frühere Untersuchungen hatten die experimentelle und analytische Beschreibung elektrisch getriebener Konvektionsrollen (ElectroHydrodynamic Convection, EHC) in nematischen Flüssigkristallen und in freistehenden smektischen Filmen zum Inhalt. In diesen Systemen haben wir unter anderem nichtklassische EHC-Instabilitäten, die Einflüsse von Rauschanregung und den Einfluss überlagerter harmonischer und anderer Anregungsformen untersucht. Eines der Themen war die Charakterisierung der Systeme unter Zeitinversion der Anregungsformen. Einen weiteren Schwerpunkt bildete die Untersuchung von Faraday-Wellen in Flüssigkeiten, die in flachen Behältern durch vertikale Vibrationen mechanisch getriebenen werden. Auch in diesem System wurden überlagerte Anregungsfunktionen sowie zeitumgekehrte Anregungssequenzen untersucht. Einige Experimente wurden zur thermisch getriebenen Konvektion in dünnen smektischen Flüssigkristallfilmen durchgeführt. Gegenwärtige Schwerpunkte sind mechanisch induzierte Faltenbildungen und Ausstülpungen freischwebender smektischer Filme und die Selbstorganisation von Tröpfchen auf smektischen Filmen in Form von kolloidalen Kristallen.

 Beispiel: Spontane Faltenbildung in seitlich komprimierten smektischen Filmen (Harth et al., Soft Matter 17 6761 (2019))

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Bild: Spontane Faltenbildung einer axial gestauchten Blase, Bildbreite ca. 1 mm. Der dynamische Prozess der Ausbildung von Mustern einer bevorzugten Wellenlänge und die Modellierung dieser Instabilität steht im Mittelpunkt unserer Untersuchungen.

 Beispiel: Spontane Selbstorganisation von Tröpfchen auf freistehenden smektisch-A Filmen (Klopp et al., Soft Matter 15 8156 (2019))

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Tröpfchen auf einem freitragenden Film in der smektischen A-Phase (hier zu einer smektischen Blase geformt) ordnen sich auf Grund gegenseitiger Abstoßungskräfte in einem hexagonalen Gitter an. Das linke Bild (a) zeigt eine smektische Blase von etwa 15 mm Durchmesser auf der ISS im Zustand der Schwerelosigkeit, darauf sieht man Regionen unterschiedlicher Filmdicken, die durch ihre Interferenzfarben erkennbar sind. Im oberen Bildteil zu sehende fühlerartige Strukturen sind Teile der Apparatur. Die Blase wird von einer Kapillare (im unteren Teil) gehalten. Im rechten Bild (b) ist ein 500 Mikrometer breiter Ausschnitt zu sehen, auf dem sich Tröpfchen in einem lokal hexagonalen Gitter angeordnet haben. Sie bilden ein Modell  zweidimensionaler kolloidaler Kristalle, die im Gegensatz zu vielen in der Literatur beschriebenen 2D-Kolloidkristallen (an Flüssigkeitsgrenzflächen) keine flüssige Subphase aufweisen.

 

  • Anisotrope Flüssigkeiten

Flüssige Kristalle sind heutzutage nicht mehr aus Display-Anwendungen und vielen anderen Anwendungsbereichen wegzudenken. Daneben spielen sie auch eine große Rolle bei der grundlagenforschung zu anisotropen Systemen. Eines der aktuellen Forschungsthemen des Arbeitskreises ist die Untersuchung von topologischen Defekten, das heißt von nicht regulären Punkten des Orientierungsfeldes solcher Fluide. Wir führen die Untersuchungen in freitragenden smektischen Filmen durch, die ein außergewöhnliches und bequem zu handhabendes Beispiel einer quasi-zweidimensionalen Flüssigkeit darstellen. Dynamische Prozesse lassen sich damit in einer 2D-Geometrie beobachten. Wir untersuchen die Wechselwirkungen von topologischen Defekten und die gegenseitige spontane Annihilation von Defektpaaren entegengesetzter topologischer Ladung.

Beispiel: Wechselwirkung topologischer Defekte, Defektannihilation

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Bild links: Titelseite der Zeitschrift EPJ E mit einer Gruppe von topologischen Defekten, die in einer dünneren Filmregion festgehalten werden. Bild Mitte: Neun Defekte jeweils mit der topologischen Ladung +1 sind anfangs in einer dünnen Filmregion festgehalten (a), danach wird diese Region zerstört (b) und acht Defekte entfernen sich auf Grund ihrer gegenseitigen Abstoßungskräfte voneinander (c,d). Einer der Defekte bleibt im Zentrum. Rechtes Bild: Zwei Defekte mit entgegengesetzten topologischen Ladungen +1 und -1. Solche Paare annihilieren sich gegenseitig.   

 

  • Struktur und Dynamik von granularen Materialien und Suspensionen

Der Ausfluss von granularen Materialien, sogenannten Schüttgütern, aus Behältern mit engen Öffnungen am Boden wird seit Jahrhunderten praktisch angewandt in Silos und anderen Vorratsgefäßen. Die Dynamik dieses Prozesses ist jedoch nur sehr wenig verstanden. Theoretische Vorhersagen existieren im Wesentlichen nur für den einfachen Fall monodisperser harter Kugeln. Fokus unserer Untersuchungen isst der Silo-Ausfluss von formanisotropen Partikeln (Stäbchen, Ellipsoide, Plättchen sowie weiterer, komplexerer, auch nicht-konvexer Formen) und die Untersuchung des Einflusses der Reibung und der Elastizität der Partikel auf das Ausflussverhalten. Weitere Experimente befassten sich in vorangegangenen Projekten mit der Mischung bzw. Entmischung granularer Materialien in rotierenden Mischern und dem Auftreten spontan entstehender räumlicher Strukturen, die im Laufe der Zeit eine Alterungsdynamik (Coarsening, d.h. Vergröberung der Muster) aufweisen bis zur vollständigen Entmischung. Ein weiteres Untersuchungsthema ist die Anordnung von regelmäßigen Körpern (insbesondere Kugeln) in Behältern unter geometrischen Einschränkungen. Weitere Experimente betreffen das Packungsverhalten komplexer Partikel (Kreuze) in einer zweidimensionalen Ebene.

Beispiel: Kreuze in einer zufälligen zweidimensionalen Packung

 crossesBild: Vier Beispiele von zufällig gepackten Kreuzen in einer Ebene. Der wichtigsten Parameter ist das Verhältnis der Armbreite b zur Armlänge a der Kreuze (Stannarius & Schulze, arxiv.org). Theoretisch findet man vollständige reguläre Überdeckungen für die Verhältnisse b/a = 1, b/a = 2, und a = 0 (Quadrate). Realistisch finden wir Überdeckungen zwischen 50% und 70 %, deutlich unter den Grenzen für optimale reguläre Packungen.

Beispiel: Frustrierte Packung von monodispersen Kugeln in einem flachen Behälter

 packung5In einem Behälter, der wenig dicker als der Durchmesser der darin enthaltenen Kugeln ist, bildet sich eine frustrierte Packung heraus, bei der im Mittel die Hälfte der Kugeln Kontakt zur Vorderseite, die andere Hälften zur Rückseite des Behälters hat. Dieses System hat viel Ähnlichkeit mit frustrierten antiferroelektrischen Spinsystemen auf einem Dreiecksgitter (Wannier 1950) . Die beiden Lagen sind im Bild oben durch unterschiedliche Graustufen gekennzeichnet. Das System erreicht seinen vielfach entarteten Grundzustand in der Regel nie, sondern nimmt Zustände an, in denen die 13 lokalen Konfigurationen mit unterschiedlichen Wichtungen auftreten. Die Statistik ändert sich auch nicht, wenn das System von außen durch mechanische Anregungen gestört wird.

 

  • Experimente mit granularen Materialien unter Mikrogravitation

Neben den Untersuchungen granularer Festkörper und Flüssigkeiten, d.h. von Systemen, in denen die Nachbarteilchen permanente Kontakte zueinander haben, untersuchen wir granulare Gase, d. h. Systeme, in denen die Partikel sich voneinander isoliert bewegen und nur gelegentlich durch Kollisionen miteinander wechselwirken. Diese Experimente finden auf verschiedenenen Plattformen unter Mikrogravitation statt, im Fallturm des ZARM in Bremen oder auf suborbitalen Raketen.

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Untersuchung der Abkühlung granularer Gase in einem Fallturmexperiment (GAGa) (Harth et al. PRL 120 21401 (2018)). Das linke Bild zeigt eine Box mit zwei vibrierenden Wänden, mit denen während des freien Falls ein Ensemble aus stäbchenförmigen Partikeln von ca. 1 cm Länge mechanisch angeregt wird. Nach dem Abschalten der Anregung verliert das System permanent Energie durch unelastische Stöße der Partikel, man spricht vom Abkühlen des granularen Gases. Mit zwei Kameras wird die Dynamik des Ensembles stereoskopisch beobachtet und die kinetischen Energien (der Rotations- und Translationsfreiheitsgrade) sowie die Kollisionsstatistik bestimmt. Darüberhinaus wird die räumliche Homogenität des Systems untersucht.

   

 Im Rahmen dieser Arbeitsgemeinschaft haben sich Magdeburger Wissenschaftler zusammengefunden, die Experimente unter Mikrogravitation durchführen. Wir tragen Experimente am ZARM-Fallturm, in Parabelflügen, auf suborbitalen Raketen sowie auf der Internationalen Raumstation ISS bei.

 

Letzte Änderung: 02.11.2021 - Ansprechpartner: Webmaster